Berlin, den 31.05.2022, Autor: Tilo Fuchs
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Die Ergebnisse von Landtagswahlen gelten gemeinhin als Zeugnis für die amtierende Bundesregierung. Nicht selten zeigt sich hier ein abgekühlter Enthusiasmus der Wählerinnen und Wähler für Kanzlerin oder Kanzler. Die Ampel hat nun die ersten drei Landtagswahlen hinter sich – mit gemischten Ergebnissen. Aber haben die Länder über den Bundesrat überhaupt noch den früheren Einfluss? Und wie wirken sich Landtagswahlen überhaupt auf eine Drei-Parteien-Regierung aus?
Die Macht des Bundesrates ist verblasst
Gegen Ende der Ära Kohl und zu Zeiten der rot-grünen Bundesregierung war das Wort „Vermittlungsausschuss“ im fast täglichen Nachrichtengebrauch. Die jeweilige Opposition im Bund nutzte damals ihre Mehrheiten in den Ländern zur parteipolitischen Mitbestimmung der großen Linien – oder auch als reine Veto-Macht.
Die Wählerinnen und Wähler haben ihre Kritik an der Bundesregierung nicht selten in der Wahl der jeweils anderen Kombination in ihrem Bundesland ausgedrückt. Mit entsprechender Bremswirkung auf die Bundesregierung: Als Kanzler musste Gerhard Schröder für fast jedes Gesetz einzelne CDU-geführte Bundesländer umgarnen, um für seine Politik Mehrheiten zu sichern. Und der Verlust des Rot-Grünen Mehrheit im Vermittlungsausschuss war einer der Gründe, warum er sein Heil am Ende in Neuwahlen suchte.
In den letzten Jahren ist es stiller geworden um den Bundesrat, seine Rolle als „Gegenparlament“ ist geschwunden. Der Vermittlungsausschuss zwischen Bund und Ländern traf sich in der letzten Wahlperiode gerade sieben Mal – in der Wahlperiode 2002-2005 waren es noch stolze 56 Sitzungen. Von „Veto-Macht“ und „Gegenregierung“ ist keine Rede mehr.
Neue Koalitionen, neue Machtdynamik
Hauptgrund für die neue Lage ist das Ende der „sortenreinen“ Koalitionen. In der Vergangenheit galt fast überall: Entweder Rot-Grün oder Schwarz-Gelb. Regierte das eine Lager ein Land, stimmte es im Bundesrat verlässlich gegen eine Bundesregierung der „anderen Seite“.
Heute sind in den Ländern fast nur noch Koalitionen zu finden, in denen sowohl Regierungs- wie auch Oppositionsparteien der Bundesebene vertreten sind. Im Bundesrat hat das die Zahl der Einsprüche erheblich gesenkt – den Bundeskoalitionären in den Landesregierungen sei Dank.
Ginge es nur um die parteipolitische Farbenlehre, müsste dann aber auch die Zustimmung zu Bundesgesetzen häufiger verweigert werden – schließlich kann ein bundesoppositioneller Partner in der Landeskoalition ja immer die Zustimmung des Landes verhindern.
Das ist aber nicht der Fall, auch Zustimmungsgesetze landen nur vereinzelt im Vermittlungsausschuss. Ein Grund ist die eigene Arbeitsfähigkeit der Landesregierungen: Ständigen Streit um das Abstimmungsverhalten im Bundesrat kann keine Koalition lange aushalten. Die Landeskoalitionäre schauen bei der Meinungsbildung also stärker als in der Vergangenheit auf die Wirkungen eines Gesetzesvorhabens auf ihr Land und haben weniger die parteipolitische Auseinandersetzung im Blick.
Der zweite Grund sind die gewandelten Rollen: Früher saßen meist alle Partner einer Landesregierung auch im Bund gemeinsam in der Opposition oder auf der Regierungsbank. Heute ist es nicht selten, dass eine Partei im Land mit der einen, im Bund mit einer anderen Partei die Regierungsverantwortung teilt. Das prägt auch die parteipolitischen Zielsetzungen: eine Landesregierung sieht sich nicht mehr als Gesamtalternative zur Bundeskoalition und hat nicht mehr unter dem Motto „Wir statt denen“ das Ziel, alle Parteien der Bundesregierung in die Opposition zu schicken. Vielmehr geht es um eine Teilablösung: Ein mit den Grünen regierender Ministerpräsident der Union wird beispielsweise darauf hinarbeiten, die Ampel baldmöglichst durch eine Jamaika-Koalition zu ersetzen. Das prägt dementsprechend auch das Verhältnis einer Landesregierung zur Bundesregierung und ihr Abstimmungsverhalten im Bundesrat.
Die Herausforderung für die Ampel ist die Binnendynamik, nicht der Bundesrat
Blickt man auf die aktuelle Zusammensetzung des Bundesrates und die Landtagswahltermine stellt man fest: Die Ampel könnte nur mit höchst unwahrscheinlichen Wahlsiegen u.a. in den Unions-Hochburgen Bayern und Sachsen eine eigene Bundesratsmehrheit erringen. Umgekehrt müsste die Union schon absolute Mehrheiten in den Ländern gewinnen, um „ampelfrei“ regieren und im Bundesrat entsprechend auftrumpfen zu können.
Mit der teils brachialen Oppositionspolitik der späten 1990er und frühen 2000er Jahre ist also nicht zu rechnen. Die aktuellen Landtagsergebnisse legen nahe, dass die parteipolitische Machtdynamik zwischen Bund und Ländern stattdessen eher zu einem Binnen-Konflikt in der Ampel-Koalition werden kann.
Das Beispiel NRW zeigt: Auch wo es rechnerisch denkbar ist, bilden die Ampelparteien nicht zwingend eine Landesregierung. Die Union umwirbt insbesondere die Grünen, mit denen sie in vielen Ländern Regierungen bilden kann und auch im Bund künftig die Mehrheit erreichen könnte.
Die Grünen werden in nicht wenigen Bundesländern vor die Frage gestellt „Ampel oder Schwarz-Grün“. Die Chance, die eigene Agenda umzusetzen, wird als Entscheidungskriterium wichtiger sein als die Loyalität zu den Partnern im Bund.
In anderen Ländern kann es dazu kommen, dass sich CDU oder SPD einen der Ampel-Partner aussuchen können und der andere leer ausgeht. Das ist unter CDU-Führung gerade in Schleswig-Holstein der Fall, könnte aber im Herbst auch in Niedersachen unter Ägide der SPD ebenso passieren.
In der Bundesregierung wird dies sicherlich einige Konflikte mit sich bringen: Einem SPD-Kanzler kann es nicht gefallen, wenn seine Junior-Partner sich in den Ländern mit der Union verbünden und damit – ob gewollt oder nicht – seiner eigenen Ablösung das Feld bereiten. Für Grüne und FDP entsteht ebenfalls Streitpotential, das Konkurrieren um die die Gunst von Union oder SPD in den Ländern kann schnell das Gemeinsame im Bund überlagern.
Eine große Lösung für diese Probleme gibt es nicht. Der Bundeskanzler aber auch die führenden Köpfe von Grünen und FDP stehen hier vor einer komplizierten Führungsaufgabe. Die Dynamik der Landtagswahlen begünstigt Neid und Missgunst – aber die Wiederwahl im Bund wird nur durch gemeinsames Ziehen in die gleiche Richtung möglich.
Unternehmen müssen diese koalitionsinternen Prozesse bei der Verfolgung der eigenen politischen Anliegen genau im Blick haben. Die politischen Stakeholder in der Bundesregierung und in den Ländern werden anstehende Entscheidungen immer auch im Kontext dieser parteipolitischen Konkurrenz bewerten. ALP unterstützt Sie gerne mit passenden Stakeholder-Analysen und politischen Strategien. Bei Interesse an einem entsprechenden Angebot oder weiteren Fragen zu unseren Leistungen, zögern Sie nicht uns zu kontaktieren!