Autor: Matthias Ilgen, 21.01.2025
Wahlkampf ist die Hochzeit der Demokratie. Die Parteien streiten täglich im öffentlich-medialen Schlagabtausch, markieren ihre inhaltlichen Unterschiede zur Konkurrenz und greifen den politischen Gegner hart an – manches Mal selbst zwischen den Parteien des demokratischen Zentrums (SPD, CDU/CSU, B90/Die Grünen und FDP) mit Attacken nahe an der Grenze zur persönlichen Diffamierung.
Im Hintergrund aber laufen fernab der öffentlichen Bühne ganz andere Prozesse ab. Dieselben Parteien, die sich derzeit öffentlich gegenseitig politisch bekämpfen, loten parallel schon eine mögliche Zusammenarbeit in der künftigen Bundesregierung aus. Die demoskopischen Zahlen sind volatil. Die letzten 25 Jahre ist in Deutschland praktisch keine Wahl so ausgegangen, wie Umfragen es 6 Wochen vorher andeuteten. Beinahe alles kann noch passieren.
Die derzeit hohe Unbeliebtheit praktisch aller Spitzenkandidaten macht diese Wahl noch schwerer vorhersehbar als die letzte. Selbst Unionsspitzenkandidat Friedrich Merz könnte durch persönliche Fehler noch seinen sicher geglaubten Wahlsieg verspielen. Dennoch richten sich derzeit in Wahrheit auch alle Mitbewerber auf eine Kanzlerschaft des bisherigen Oppositionschefs ein. Allerdings kann keiner der möglichen Partner in spe sicher sein, ob er mitregieren darf. Die FDP droht an der 5%-Hürde zu scheitern. Sie würde nur eine Rolle spielen, wenn das BSW und/oder die Linkspartei durch ihren Einzug in den Bundestag eine Zwei-Parteien-Koalition rechnerisch unmöglich werden lassen und sich z. B. eine Deutschland-Koalition oder Jamaika nicht umgehen lassen. Ein ausreichend großer Last-Minute-Swing von derzeitigen AfD-Sympathisanten ins bürgerliche Lager und eine dadurch möglich werdende schwarz-gelbe Koalition ist zwar nicht völlig undenkbar, aber doch äußerst unwahrscheinlich.
Die SPD muss fürchten, dass die Grünen aufgrund der relativen Beliebtheit von Robert Habeck und der Unbeliebtheit des noch amtierenden Kanzlers Olaf Scholz am Ende noch an ihr vorbeiziehen. Die Sozialdemokraten, die zwar öffentlich noch auf Sieg setzen, kämpfen in Wahrheit also eher darum, sich in eine erneute „große“ Koalition mit der Union zu retten – und beginnen sich intern bereits, dafür zu formieren. Bei einem Wahlergebnis um oder unter 15% oder einem schlechteren Ergebnis als die Grünen stehen heftige Debatten um grundlegende Veränderungen ins Haus: Olaf Scholz hat seinen Rückzug für diesen Fall ja bereits angekündigt und dürfte keine Rolle mehr spielen. Zudem geriete der gesamte Parteivorstand unter Druck. Die zahlreichen Unterstützer einer Kanzlerkandidatur von Boris Pistorius – die von vielen Basismitgliedern und auch großen Teilen der Bundestagsfraktion gefordert wurde – werden ihrem Unmut Luft machen. Und auch bei anderen wird der Wunsch nach einem Neuanfang groß sein. Auch die Frage, ob man in einer rechnerisch möglichen Koalition mit der Union die beste Zukunftschance erkennt, wird – wie schon 2017 – zu Auseinandersetzungen führen.
Die Grünen hingegen sind klar sortiert. Robert Habeck ist Chef im Ring. Er will erneut Vizekanzler werden, gerne künftig als Finanzminister. Die von der Union in Aussicht genommenen Sozialkürzungen bei Rentnern und Bürgergeldempfängern sind für die Grünen leichter mitzutragen, da Sozialpolitik vielen in der Partei und ihrer Wählerschaft zwar wichtig ist, aber nur für wenige ein Identitäts-Thema darstellt. Zwar sind die Differenzen im Feld der Migrationspolitik gravierend, allerdings haben die Grünen für ihre eigenen Vorstellungen hier keine parlamentarische Mehrheit in Aussicht und das stetige Anwachsen der AfD hat auch der Mehrheit der grünen Mandatsträger klargemacht, dass sich mit der klassischen politischen Linie wohl keine zusätzlichen Stimmen gewinnen lassen. Auch Markus Söder mit seiner Anti-schwarz-grün-Haltung ist ein Meinungswechsel nach der Wahl zuzutrauen, wenn keine offensichtlich besseren Alternativen zur Verfügung stehen und die Grünen symbolisch wichtige migrationskritische und unternehmensfreundliche Anliegen der der Union mittragen.
Neben den Vorbereitungen auf die verschiedenen Szenarien, die von den Parteien intern vorbereitet werden, finden mit Blick auf mögliche Sondierungsgespräche und Koalitionsverhandlungen bereits zahlreiche vertrauliche Gespräche sowohl auf parlamentarischer Arbeitsebene wie auch zwischen den Spitzenpolitikern statt. Am Wahlabend wollen alle möglichst optimal auf die Lage vorbereitet sein, um dann erfolgreich sondieren zu können und in Koalitionsverhandlungen möglichst viele eigene Inhalte umsetzen zu können.
Entsprechend des bunten Straußes an denkbaren Koalitionsmöglichkeiten ist es für Unternehmen und Verbände gleich welcher Branche schwierig vorauszusehen, welche Vorhaben eine neue Bundesregierung in welchem Politikbereich angehen wird und wie die eigenen Geschäftsmodelle konkret durch Veränderungen und Regulierungen betroffen sein könnten. Zudem müssen die eigenen Anliegen nicht nur vorgetragen werden, sondern auch mit Blick auf die je nach verhandelnden Parteien sehr unterschiedlichen Streitpunkte und Frontlinien mit passenden Argumenten unterstützt und anschlussfähig gemacht werden. Wer klug plant und rechtzeitig aktiv wird, kann die Koalitionsverhandlungen aber erfolgreich als Plattform für die eigenen Anliegen nutzen.
ALP unterstützt Sie gerne mit passenden Stakeholder-Analysen, politischen Strategiekonzepten und engen Kontakten zu den Entscheidern in den Fraktionen und Parteien. Bei Interesse an einem entsprechenden Angebot oder weiteren Fragen zu unseren Leistungen, zögern Sie nicht uns zu kontaktieren!